Die KASTRATION

Eine der ältesten
Operationen an Haustieren ist
heute umstrittener denn je.
Tierärztin Dr. Karen Schemken kennt die Vor-/-Nachteile
der Verhütungsmethode und medizinische Irrtümer, die sich unter
Hundehaltern hartnäckig behaupten.
VORTEILE DER KASTRATION
Der operative Eingriff
ist erheblich kleiner, da die Organe des jungen Hundes
noch nicht vollständig entwickelt sind.
Bei Hündinnen wird oft die Gebärmutter im Körper
belassen, dadurch wird der Schnitt kleiner, die
Operation kann schneller durchgeführt gehen.
Das Risiko,
an Gesäugetumoren zu erkranken, ist für die früh
kastrierte Hündin niedriger. Es wird, verglichen mit
dem Risiko unkastrierter Hunde, mit unter ein Prozent
angegeben.
NACHTEILE DER KASTRATION
Nach Frühkastrationen
können Harninkontinenz, Fellveränderungen,
Gewichtszunahme und Verhaltensänderungen auftreten.
Wachstumsstörungen
zählen ebenso zu den Risiken einer Kastration im
Welpenalter: Wenn eine Hündin vor der ersten Läufigkeit
kastriert wird, wachsen die äußeren Geschlechtsorgane
nicht zu ihrer normalen Größe heran.
Zusätzliche Fetteinlagerungen
können den Abfluss von Vaginalsekreten und Urin
erschweren, wodurch in Abhängigkeit von den anatomischen
Verhältnissen chronische Entzündungen begünstigt werden.
Die Entwicklung der langen Röhrenknochen der Beine wird
durch eine frühe Kastration beeinflusst: Die
Epiphysenfugen, die Wachstumszonen der Knochen,
schließen sich ca. drei Monate später, die Beine
werden etwas länger. Ob dies zu gesundheitlichen
Problemen führen kann, ist noch nicht geklärt.
Werden
nur Rüden kastriert?
"Ist doch klar:
Rüden werden kastriert und Hündinnen sterilisiert!"
Die
Hundehalterin Elke Franzki aus Monheim vertritt
damit eine weit verbreitete
Meinung. Die entspricht allerdings nicht den Tatsachen.
Denn bei einer
Kastration werden die Eierstöcke oder die Hoden
komplett
entfernt, während bei einer Sterilisation nur die
Eileiter oder die Samenleiter
unterbunden werden. Die Operationsmethode hat also
nichts mit dem
Geschlecht zu tun. Bei Hündinnen wird bei der Kastration
zusätzlich
oftmals die Gebärmutter mit entfernt, je nach Alter
der Hündin und
Zustand des Organs zum Operationszeitpunkt.
In den
Eierstöcken und den Hoden werden Sexualhormone
produziert, die für die
Entwicklung der Geschlechtsorgane und für das
geschlechtsspezifische Verhalten verantwortlich sind,
aber auch andere Körperfunktionen
kontrollieren. Werde die Keimdrüsen entfernt, treten
verschiedene
körperliche Effekte und Verhaltensänderungen auf.
Die
Sterilisation hingegen dient lediglich der Vermeidung
ungewollten Nachwuchses, die
Hündin wird nach einer Operation weiterhin läufig
und der Rüde
liebeskrank.
Wann ist eine Operation sinnvoll?
Die meisten
Hunde werden je nach Rase zwischen dem 6. und dem 9.
Monat
geschlechtsreif, in Einzelfällen auch später. Wenn die
Hündin
zweimal im Jahr
läufig ist, hat sie jeweils rund zwei Wochen lang
blutigen Ausfluss und
verströmt einen Geruch, der für Rüden äußerst attraktiv
ist.
Die für die
Fortpflanzung entscheidenden Tage sind erst am Ende der
zwei Wochen, wenn die
Hündin "steht" und begattungswillige Rüden nicht mehr weg
beißt.
Dann ist bei Hundehaltern höchste Aufmerksamkeit
gefordert, denn
auch die liebestollen Hundedamen zeigen sich
erfinderisch in ihrem Drang,
einen Partner zu finden. Liegt der Duft einer läufigen
Hündin in der
Luft, sind die Rüden oft nicht mehr zu bremsen,
und selbst
wohlerzogene Hunde verweigern strikt den Gehorsam.
Vermeidung
ungewollten Nachwuchses und unerwünschten
Sexualverhaltens:
Viele
Hundehalter sehen in einer Kastration die einfachste
Lösung, dem Treiben ein
Ende zu setzen. Einen Hund zu kastrieren, weil die
Läufigkeit
lästig und der Trieb nervig ist, sollte allerdings kein
Grund für einen solch
dramatischen Eingriff sein. Schließlich ist eine
Kastration immer auch mit
Risiken und Nebenwirkungen verbunden.
Hartwig Bostedt,
emeritierter
Professor für Physiologie und Pathologie der
Fortpflanzung am Fachbereich
Veterinärmedizin der Universität Gießen, meint dazu:
" Die
Sexualhormone nehmen einen wesentlichen Einfluss auf das
körperliche und seelische
Allgemeinbefinden von Tieren. Die Entnahme von Hoden
oder Eierstöcken
ist immer ein erheblicher Eingriff und keinesfalls eine
Lappalie, wie
manche Mitmenschen meinen." Allerdings gebe es einen
etho-soziologische Indikation: wenn das
geschlechtsspezifische Verhalten des
Sozialpartners Hund etwa für ältere oder versehrte
Menschen nicht kontrollierbar
ist.
Medizinische
Indikationen wie Erkrankungen der Geschlechtsorgane:
Bei jungen
Hunden ist ein anfänglicher starker Trieb oftmals
normal, im Alter von 3
bis 4 Jahren werden sie aber meistens deutlich ruhiger.
Bei auffallend
starkem Sexualtrieb gibt eine Hormonbestimmung im
Blut Aufschluss,
ob eine Hypersexualität vorliegt. Das wäre eine medizinische
Indikation für einen Kastration, denn dann leidet der
Hund selbst darunter, nicht
nur das Nervenkostüm des Besitzers.
Weitere medizinische
Indikationen
sind andere Erkrankungen der Geschlechtsorgane wie etwa
Gebärmuttervereiterungen oder tumoröse Entartungen. Im
Zyklus der Hormone
verändern sich die Gewebe von Gebärmutter und
Milchdrüsen regelmäßig.
Dadurch können gut- oder bösartige Entartungen
begünstigt werden, so dass
nach Entfernung eines bereits entwickelten Tumors oftmals zu einer
Kastration geraten wird.
Vorbeugung von
Erkrankungen der Geschlechtsorgane:
Prophylaktische
Kastrationen zur Vermeidung solcher Erkrankungen sind
zwar weit
verbreitet, hinsichtlich des tatsächlichen
Erkrankungsrisikos kursieren aber
sehr verschiedene Angaben. Laut Professor Bostedt
gibt es beispielsweise
keine verlässliche bundesweite Untersuchung über das
Verhältnis
zwischen unkastrierten, an Mammatumoren erkrankten
Tieren und bis ins hohe
Alter gesund gebliebenen Tieren. Das absolute
Erkrankungsrisiko lässt
sich demnach kaum beziffern, wie schon die kursierenden
Schätzungen von
2 bis zu 50 Prozent verraten.
Nichtsdestotrotz fällt
auf, dass
insbesondere früh kastrierte Tiere erheblich seltener
mit Gesäugetumoren
in Tierarztpraxen registriert werden. Anerkannten
Studien zufolge sinkt
das relative Risiko eines Gesäugetimors bei Kastration
vor der ersten
Läufigkeit auf unter 1 Prozent, nach der ersten
Läufigkeit liegt es noch bei 8
Prozent. Ab einem Alter von ungefähr 2,5 Jahren entfällt
allerdings
dieser Vorteil.
Beeinflussung
von Verhaltensproblemen:
Insbesondere bei
Rüden versprechen sich viele Besitzer eine Verbesserung
von
Verhaltensproblemen wie Aggressivität oder
Hyperaktivität.
Zum Beispiel kann
das so genannte Dominanzverhalten von Hunden, das gern
als Grund
angeführt wird, oftmals durch konsequentere Erziehung
eher beeinflusst
werden als durch eine Kastration . Verhaltensweisen wie
Aufreiten,
Markieren, Streunen und Aggressionen gegenüber
Geschlechtsgenossen sind
beim Rüden zwar eindeutig testosteronabhängig, werden
aber schon vor
der Geburt angelegt. Daher bringt eine Kastration zur
Reduzierung
dieser Verhaltensweise nur bei etwa 60 Prozent spürbar
Erfolg.
Vielen
erscheint dies als gute Aussicht, automatisch leichter
erziehbar werden
Rüden durch die Kastration aber nicht.
Verhaltenssteuerung beim Halten mehrerer Tiere:
Sabine
Pferdekamp aus Essen hat sich zur Kastration ihrer
Magyar-Vizsla- Hündin
aus anderen Gründen entschieden :
„ Da ich auch
noch einen Rüden
habe, wurde es zu Hause unerträglich, wenn die Hündin läufig
war.“ Die Hundehalterin fürchtete, ihr Hund Gordon
könnte
vielleicht von anderen unkastrierten Rüden „ nicht ganz
für voll genommen“
werden. Aus diesem Grund hat sie lieber Hündin Grace kastrieren
lassen. Wenn Hündin und Rüde in einem Haushalt
leben , ist die
Kastration eines Tieres zur Vermeidung von Nachwuchs
in der Regel die
sicherste und praktikabelste Lösung. Das Gleiche gilt
für Tierheime.
Medikamentöse Verhütung wird aufgrund der Nebenwirkungen allenfalls kurzfristig empfohlen, zum Beispiel für
Tiere, die bei Züchtern
leben.
Mögliche Folgen einer Kastration
Die mit einer
Operation einhergehenden gesundheitlichen Nachteile
wiegen nach
Professor Bostedts klinischen Erfahrungen die
Vorteile teilweise auf:
„Die Vorsorge gegen Gesäugekrebs mag ein Grund für die Kastration sein.
Aber dafür können beispielsweise Probleme mit Harninkontinenz
und bei Frühkastration sogar krankheitsfördernde Veränderungen an
den äußeren Geschlechtsorganen entstehen.“
Die
Wahrscheinlichkeit, mit der solche Probleme auftreten,
hängt von verschiedenen
Faktoren ab, der Zusammenhang mit der Kastration
ist aber
eindeutig.
Operationsfolge
Harninkontinenz:
Zwischen 10 und
20 Prozent der kastrierten Hündinnen werden
inkontinent , 75
Prozent davon innerhalb der ersten drei Jahren nach
der Kastration.
Eine große Rolle spielen dabei die Rasse und das Körpergewicht:
Beim Boxer, Dobermann, Riesenschnauzer, Rottweiler,
Bobtail und
Irish Setter ist das Risiko größer. Generell gelten
Hunde über 20 Kilogramm
Körpergewicht als stärker gefährdet.
Die Harninkontinenz
ist zwar
medikamentös gut zu behandeln, erfordert aber
lebenslange Arzneimittelgabe. Alternativ sind auch chirurgische
Therapiemaßnahmen möglich.
Gewichtszunahme:
Auch die äußere
Erscheinung des Hundes kann sich durch Kastration
ändern.
„ Wenn der
Sexualtrieb wegfällt, kommt der Fresstrieb durch“,
lautet eine alte
Binsenweisheit.
Kastrierte Tiere haben meistens einen
ungezügelten Appetit und
sollten nur kontrolliert gefüttert werden. Die oft
beschworene Veränderungen
des Stoffwechsels als Gegenargument zu angeblich
sinnlosen Diäten konnte
bislang wissenschaftlich noch nicht belegt werden.
Vielmehr zeigen
experimentelle Studien, dass die
Gewichtszunahme nur
bei Tieren auftritt, deren
Aktivität nach der Kastration deutlich zurückgeht.
Bewegung
und richtige
Ernährung bleiben eben auch weiterhin alles.
Fellveränderungen:
Bei langhaarigen
Rassen wie zum Beispiel Irish Setter oder Cockerspaniel können Fellveränderungen auftreten. Durch die stärker wachsende
Unterwolle wird das so
genannte Babyfell sehr weich und zottelig. Das Risiko
für langhaarige Hunde liegt bei
rund 30 Prozent, die Fellveränderungen können nur
durch regelmäßiges
Trimmen teilweise korrigiert werden.
Verhaltensänderungen:
Das
Sozialverhalten der Hunde wird vom Geschlecht stark
beeinflusst, wie Catrin Lemke aus
Gevelsberg, Halterin zweier kastrierter Hündinnen,
berichtet:
„ Meine
Golden-Retriever- Hündin Kira wurde mit acht Jahren
wegen eines Gesäugetumors
und ständiger Scheinträchtigkeit kastriert. Von dem
Moment an versuchte die
kleiner und jüngere Mischlingshündin Lena , in der Rangordnung
aufzusteigen, was unsere Kira nicht zulassen wollte .
Sie hat sich ständig zur Wehr
gesetzt. Um den Streitigkeiten ein Ende zu setzen,
haben wir Lena auch kastrieren
lassen, danach war die Rangordnung wieder klar.“
Allerdings :
Randordnungsprobleme zwischen Hund und Mensch beruhen in
der Regel auf
Erziehungsfehlern und sollten unbedingt von einem
erfahrenen Hundetrainer beurteilt werden. Wenn der
Mensch die Hundesprache nicht beherrscht, wird sich
durch eine Kastration nichts viel ändern.
Bei beiden
Geschlechtern des Hundes können individuell verschieden
ausgeprägte und nicht vorhersehbare
Verhaltensänderungen auftreten wie zum Beispiel
verminderte Aktivität oder bei Frühkastration auch
lebenslänglich stark ausgeprägter Spieltrieb. Bei
Hündinnen kann es nach einer Kastration sogar zu einer
Steigerung aggressiven Verhaltens kommen.
Narkoserisiko
und Komplikationen bei oder nach der Operation:
Eine Kastration
gehört zwar in den meisten Tierpraxen zu den
Routineeingriffen.
Doch selbst bei
regelgerechten und technisch bestens unterstützten
Operationen kann ein gewisses Restrisiko für
Narkosezwischenfälle oder Komplikationen bei oder nach
dem Eingriff niemals ganz ausgeschlossen werden. Noch
bei gesunden, jungen Hündinnen , höchstens technischen
Standards und erfahrenen Operateuren kommt es
Erhebungen zufolge in zwei bis acht Prozent aller
Eingriffe zu Komplikationen. Zu diesen zählen Blutungen,
abgebundenen Harnleiter oder Verklebungen im Bauchraum
sowie Entzündungen der Hautnaht und klaffende
Wundränder, etwa durch intensives Belecken der Wunde.
Und wer entscheidet?
Die möglichen
Effekte und Nebenwirkungen von Kastration an Hunden
beider Geschlechter sind zwar heutzutage besser
bekannt als noch vor zwanzig Jahren, bieten aber
weitere Aufklärung. Es gibt keine allgemeingültige
Empfehlung, in vielen Fällen sprechen gute Gründe für,
aber oftmals eben auch gegen eine Kastration. Dieser
Eingriff sollte stets individuell mit dem Tierarzt
diskutiert und entschieden werden.
Immer unter
Berücksichtigung der Rasse, des Alters und der äußeren
Umständen des Hundes.
PLUS
FRÜHREIF UNREIF: JUNGE HUNDE ZU KASTRIEREN,
FÄLLT VIELEN
BESITZERN SCHWER
Soll früh in die körperliche und
psychische Entwicklung der Tiere eingegriffen werden?
Die Diskussion um die Frühkastration.
TIERSCHUTZ UND VORSORGE
Die Kastration vor Eintritt der
Geschlechtsreife wurde in der USA zur Eindämmung der
streunenden Hundepopulation eingeführt. Dort werden
solche Routineeingriffe vollzogen, sobald man der Hunde
habhaft wird, also oft schon im Welpenalter. Hierzulande
wird die Kastration vor der ersten Läufigkeit, also vor
dem 6.Lebensmonat, propagiert.
PLUS
ZWEIDEUTIG EINDEUTIG: WIE DIE KASTRATION UNTER JURISTEN
BEWERTET WIRD
Die Gegner der Kastration, darunter auch Tierärzte,
reklamieren, sie sei nach dem Tierschutzgesetz verboten.
Was ist rechtens?
EIN GERICHTSURTEIL
Tierärzte eines Veterinäramtes in Nordhein-Westfalen
hatten einen Bußgeldbescheid gegen einen
niedergelassenen Tierarzt wegen unerlaubter Kastration
erlassen. In einem Urteil des Amtsgerichts
Mönchengladbach vom 11.08.1999 wurde der Veterinär vom
Vorwurf des zweifachen Verstoßes gegen das
Tierschutzgesetz freigesprochen.
DIE RECHTSLAGE
Michael Panek,
Rechtsreferent des Bundesverbandes praktizierender
Tierärzte: „Dieses Urteilbestätigt die rechtliche
Situation. Zwar sind laut §6,Abs.1 Satz 1 des
Tierschutzgesetzes das vollständige oder teilweise
Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder
teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder
Geweben eines Wirbeltieres verboten. Das Gesetz
definiert allerdings darüber hinaus eine Reihe von
Ausnahmen.“
WICHTIGE AUSNAHMEN IM GESETZ
Zu den Rechtsausnahmen des Tierschutzgesetzes zählt die
Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder,
soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen, die
weitere Nutzung oder Haltung des Tieres.
„TIERÄRZTLICHE BEDENKEN“
Der Passus „soweit tierärztliche Bedenken nicht
entgegenstehen“, ist ein Streitpunkt. „Er bezieht sich
auf medizinische Aspekte“, so Michael Panek: „Der
Tierarzt hat stets eine gewissenhafte, an den Regeln der
veterinärmedizinischen Wissenschaft orientierte Prüfung
des Gesundheitszustands des Tiers vorzunehmen, ob ein
Eingriff gesundheitliche Gefahren oder Risiken birgt.
Ist das nicht der Fall, darf eine Kastration
durchgeführt werden.“
„WEITERE NUTZUNG UND HALTUNG“
Dieser Passus legt die Entscheidung über eine Kastration
ins Ermessen des Hundehalters, nicht in das des
Tierarztes, so der Jurist Panek.
Textquelle:
"Der Hund" und andere Hundefachzeitschriften
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